Warum sind manche Menschen belastbarer als andere?
Diese Frage kann sich eine Person stellen, die gerade nicht überlastet ist. In vielen beruflichen Bereichen wird Belastbarkeit als Stärke genannt. Häufig wird sie auch in Jobausschreibungen formuliert, spätestens im Bewerbungsgespräch verlangt. Und wer will das nicht sein: stark, ausdauernd, mutig, motiviert, fähig, Aufgaben zu übernehmen und erfolgreich abzuschließen.
Gleichzeitig sprechen wir über Quiet Quitting – Menschen, die nur mehr das Notwendigste abarbeiten, sich ohne Kommentar aus dem Ehrenamt zurückziehen – über Mental Load – die Belastung durch Planungstätigkeiten, emotionale Arbeit – und schlussendlich Burn-Out – schwere Depressionen, permanente Überlastung, psychische Krankheiten.
Resilienz wird als Schlagwort ins Feld geführt. Mitarbeiter:innen müssen resilienter werden, mehr Belastungen aushalten, mehr Überstunden leisten, mehr Termine absolvieren, auf mehreren Kommunikationsplattformen Tag und Nacht erreichbar sein. Im Krankenbett werden noch Mails beantwortet. Im Urlaub werden ganz selbstverständlich berufliche Telefonate geführt. Irgendwas kann sich da nicht ausgehen. Resilienz ja, aber wessen Resilienz?
“Leyla ist echt super. Trotz Krankheit arbeitet sie – so ein zacher Typ.”
Wir wollen hier kurz mal stoppen. Ist das wirklich die Gemeinschaft, die wir gestalten wollen? Wir haben die nicht-naive Hoffnung, dass es auch anders geht. Und wir finden, dass es anders sogar besser ist. Warum? Weil Überlastung ein Risiko für die Gemeinschaft ist.
Wenn Leyla krank arbeitet, ist ihre Arbeit fehleranfälliger. Sie wird langsamer gesund. Im Prinzip vermindert die Struktur, in der eine kranke Person arbeiten muss, die Arbeitskraft der Person auf Dauer. Außerdem fragen wir uns, in welchem Wertekanon wir uns befinden, wenn wir Menschen strukturell an ihre Grenzen bringen und es als erstrebenswert empfinden, wenn Menschen permanent über ihre Grenzen gehen.
Community Building Austria steht für den strategischen Auf- und Ausbau von Gemeinschaften, die nachhaltig gut miteinander arbeiten wollen. Wir glauben, dass Resilienz kein individuelles Thema ist, sondern die Strukturen, die Communities vorleben, direkten Einfluss auf die Resilienz ihrer Mitglieder hat. Und zwar unabhängig davon, ob die Community eine Lohnarbeitsgemeinschaft ist, ein Theaterverein oder sich aus sozialem Engagement trifft.
Das Resilienz-Paradox besagt, dass genau das Konzept der Resilienz dafür verantwortlich ist, dass Krisen nicht überwunden werden. Resilienz bedeutet in aller Kürze, dass Menschen mit externen Störungen so umgehen können, dass sie wie ein Gummiband nach Abnahme der Spannung wieder in ihre unsprüngliche Form zurückgehen können. Was hier aber geschieht, ist eine Entpolitisierung des Begriffs.
Wer ist veranwortlich für die individuelle Resilienz? In unzähligen Coachings und Trainingskursen können Menschen lernen, ihre inneren und äußeren Schutzfaktoren zu stärken. So sollen sie Krisen vorbeugen.
Die American Psychological Association hat einen international bekannten 10-Punkte-Plan entwickelt, wie Menschen resilienter werden. Als Allheilmittel sollen wir soziale Beziehungen stärken, Krisen als Herausforderungen sehen, Veränderungen akzeptieren, Ziele anstreben, entschlossen handeln, Wachstumschancen sehen, ein positives Selbstbild aufbauen, langfristige Perspektiven bewahren, optimistisch bleiben und auf uns selber achten.
Aus Community Building Perspektive sehen wir den Menschen als Teil eines sozialen Gefüges. Wir glauben, dass Communities durch ihre bewegende Wirkung “gesunde” und “ungesunde” Verhaltensweisen fördern können. Wenn Leyla im Krankenstand arbeitet, profitiert die Community kurzfristig. Gleichzeitig zementieren wir damit eine menschenfeindliche und unsoziale Denk- und Arbeitsweise ein.
Wir beschäftigen uns viel mit der Art und Weise, wie Communities geführt werden. Mit dem Begriff der Community Facilitation benennen wir die Verantwortung, die die Person oder Personen, die eine Community leiten, über den sozialen Raum hat, der für die Gemeinschaft hergestellt wird. Damit wenden wir den Blick von der individuellen Resilienz von Einzelpersonen hin zur kollektiven Resilienz von Gemeinschaften und Strukturen.
Community Building hat einen ganz universellen Ansatz. Jeder Mensch lebt in einer Welt, die unberechenbar ist. Die Welt ist unsicher, komplex, mehrdeutig und unklar. Überlastung ist da vorprogrammiert. Und anstatt den Umgang mit dieser permanenten Herausforderung an die Einzelperson auszulagern, stellen wir Resilienz in den Verantwortungsbereich der Gemeinschaft.
Welche Werte sind die Grundlage unserer Zusammenarbeit? Wird unsere Wertschätzung an Leistung bemessen? Am Übertritt von eigenen Grenzen? Wie geht unsere Kultur mit Konflikten, mit Fehlern, mit Feedback um? Erlauben wir unseren Mitgliedern ihre Ressourcen realistisch einzuschätzen und bieten wir den Ambitionen von Einzelpersonen sichere Rahmen?
Wir wissen genau, wie Überlastungen zustande kommen, und was Strukturen dazu beitragen. Ständige Veränderungen, unklare Ziele, fließende Grenzen, unklare Zuständigkeiten, kein Feedback, eine Flut an Informationen, keine Ruhezeiten, ständige Erreichbarkeit, alle Aufgaben sind gleich wichtig und irgendwann verlieren wir die Kontrolle.
Resilienzförderung ist das Schlagwort, das wir dem Resilienz-Paradox entgegen setzen. Auf Basis unserer acht Dimensionen des strategischen Community Building haben wir uns die Frage gestellt, wie eine Resilienz-Strategie für Communities aussehen kann. Zu Beginn nehmen wir die Führungspersonen in die Pflicht. Wer immer für die Facilitation einer Community zuständig ist, muss als Vorbild fungieren. Wir denken an Geschäftsführerinnen, die im Regelnbetrieb um 17:00 nachhause gehen. Wir denken an ehrenamtliche Koordinatoren, die zwischen 20:00 und 09:00 keine Whatsapp-Nachrichten schreiben oder beantworten. Wir denken an all die Menschen, die im Krankenstand den Laptop geschlossen halten und beinhart das Diensthandy auf lautlos im Schrank verwahren.
Wir brauchen Leitbilder für eine neue kollektive Resilienz.
Die Resilienz-Strategien von Gemeinschaften müssen ernsthaftes Interesse an den Mitgliedern der Gemeinschaft haben. Rollen müssen flexibel gestaltet sein, sodass im Fall einer zu großen Belastung, die Rolle übergeben werden kann. Dafür ist Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft nötig. Das Gemeinschaftsgefühl muss so groß sein, dass sich die Mitglieder mit der Gemeinschaft identifizieren können, aber auch klar zwischen sich als Einzelperson und der Gemeinschaft als Ganzer unterscheiden können. Die Community Strategie muss gemeinsame und individuelle Grenzen in sich vereinen können. Unabhängig von Werten wie Effizienz oder Leistung müssen sich die Mitglieder sicher und wertgeschätzt fühlen.
Wie können wir eine derart funktionale Resilienz-Strategie für unsere Communities herstellen? Die Methode des Community Building gibt uns einige Werkzeuge dazu in die Hand. Strategisch angelegte Lagerfeuermomente stärken das Gemeinschaftsgefühl. Erfahrungsaustausch, Mitbestimmung, offene Evaluationen und schöne Gemeinschaftserlebnisse vergrößern das Vertrauen der Mitglieder untereinander. Regelmäßige Check-Ins und eine gewisse Agilität unterstützen das Vertrauen der Menschen in die Struktur, die sie umgibt.
Wie lernen wir, um Hilfe zu bitten?
Wie feiern wir Krisen, die wir gemeinsam gut bewältigt haben?
Wie trauern wir gemeinsam, wenn etwas wirklich misslingt und es daraus nicht einmal etwas zu lernen gibt?
Wie kann eine Community die Resilienz ihrer Mitglieder unterstützen und dadurch selbst Risiko und Unsicherheit reduzieren, Motivation und Kreativität fördern und die eigene strukturelle Wirksamkeit und Selbstsicherheit steigern?
Auf Basis unserer Recherchen und Erfahrungen haben wir den Entwurf eines Resilienz-Workshops entwickelt, den wir im Netzwerktreffen am 06. Mai mit geladenen Gästen getestet und finalisiert haben. Die letzten Jahre der multiplen Krisen, der Lock-Downs und aller damit verbundenen sozialen, emotionalen und physischen Distanzen haben uns gezeigt, wie sich Überlastung anfühlen kann und welche Faktoren in unserem Leben wegbrechen, wenn die Communities, von denen wir Teil sind, von einem Tag auf den anderen auf Stumm geschaltet sind.
Unsere Empfehlung ist klar: Erstellt Resilienz-Strategien für eure Communities. Wir unterstützen euch gerne dabei.